Saint-Louis Krankenhaus AP-HP
Innovative Schulung auf Basis von Augmented Reality und Technologie des virtuellen Zwillings revolutioniert die Infektionsprävention und bietet Fachkräften immersive Tools, um Unsichtbares sichtbar zu machen.
Innovative Schulung mit AR für medizinisches Fachpersonal
Im Saint-Louis-Krankenhaus (AP-HP) in Paris lernen die Fachkräfte mit einem neuen Training, wie sie Infektionen noch besser verhindern können. Statt in endlosen Vorträgen zu sitzen, lernen sie direkt in ihrer Arbeitsumgebung – mit einem Tablet in der Hand. Hier erleben sie virtuelle Patienten, die atmen und husten, und entdecken verborgene Risiken, die zuvor nicht erkennbar waren. Mit von virtuellen Zwillingen gestützter Augmented Reality (AR) werden Luftströmungen direkt sichtbar – und so wird den Mitarbeitenden vielleicht zum ersten Mal bewusst, wie stark sich Infektionen über die Luft in offenen Behandlungsräumen verbreiten können.
Diese bahnbrechende Trainingsmethode, entwickelt auf Basis von Sense Computing, ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Saint-Louis-Krankenhaus (AP-HP) und Dassault Systèmes. Mithilfe modernster Simulationen verändert sie die Art und Weise, wie medizinisches Personal die Risiken von Infektionen über die Luft wahrnimmt und sie vorbeugen kann. Durch die Integration von virtuellen Zwillingen und AR in die berufliche Ausbildung schließt das Krankenhaus die Lücke zwischen Theorie und Praxis und versetzt die Mitarbeitenden in die Lage, fundierte Entscheidungen zu treffen, die die Patientensicherheit erhöhen.
„Augmented Reality macht die Schulung zur Infektionsprävention auf eine Weise lebendig, wie es mit herkömmlichen Methoden nicht möglich ist“, so Dr. Guillaume Mellon, Oberarzt und Leiter des Teams für Infektionsprävention und -kontrolle am Saint-Louis-Krankenhaus AP-HP. „Mit einem iPad ausgestattet können sich Fachkräfte durch ihren Arbeitsbereich bewegen, sehen, wie sich Partikel in der Luft verteilen, und die Risiken in Echtzeit erfassen. Durch diese praktische Erfahrung wird die Schulung ansprechender, einprägsamer und wirkungsvoller.“
Seit vielen Jahren treibt das Saint-Louis-Krankenhaus (AP-HP) gemeinsam mit Dassault Systèmes technologische Innovationen voran. Im Jahr 2022 arbeiteten die beiden Organisationen an einem Projekt zur Simulation der Luftströmungsdynamik in einer Dialysestation. Dies geschah im Rahmen einer Initiative zur Verhinderung der Übertragung von Atemwegsviren zwischen immungeschwächten Patienten (Mellon et al. Verbesserung der Kontrolle der Ausbreitung von Atemwegsviren: ein umfassender Ansatz, der die Erkennung von Viren in der Luft, aerologische Untersuchungen und die Modellierung von Luftströmungen für die praktische Umsetzung integriert). Die Simulationen lieferten wertvolle Erkenntnisse über die Auswirkungen der Wartung von Lüftungssystemen.
Aufbauend auf diesem Erfolg startete das Team für Infektionsprävention und -kontrolle des Krankenhauses, bekannt als ESPRI (Equipe de Surveillance et de Prévention des Risques Infectieux), eine neue Initiative zur Modellierung der Luftströmung in einer postoperativen Station. Diesmal ging es nicht nur darum, Luftströmungsmuster zu untersuchen, sondern mithilfe von AR-gestützten Simulationen ein immersives Schulungserlebnis zu schaffen. Traditionelle Schulungsmethoden basieren oft auf passivem Lernen durch Vorträge, die die Komplexität realer Umgebungen nur schwer erfassen können. Durch den Einsatz von AR konnte das Team einen praktischen Ansatz entwickeln, der das Lernen erleichtert und das Engagement von Fachleuten erhöht.
„In Vorlesungen stellen wir dem Team lediglich eine Theorie vor, die oft abstrakt wirkt und wenig Bezug zu ihrer täglichen Arbeit hat“, sagte Mellon. „Mit diesem neuen Ansatz können medizinische Fachkräfte in einer ihnen vertrauten, realistischen Pflegeumgebung lernen.“

Wissenslücke bei den Risiken einer Übertragung über die Atemwege
Atemwegsinfektionen sind in Krankenhäusern ein großes Problem – sie gehören zu den zehn häufigsten Infektionen, die man sich dort einfangen kann. Die Herausforderung ist besonders groß in offenen Pflegebereichen, in denen sich Partikel in der Luft leichter in der gemeinsamen Umgebung verbreiten können.
Eine von ESPRI durchgeführte krankenhausweite Umfrage ergab eine besorgniserregende Wissenslücke darüber, wie sich Infektionen über die Luft in diesen offenen Pflegebereichen verbreiten. Diese Wissenslücke war wahrscheinlich auf einen Mangel an regelmäßigen und praktischen Schulungsmöglichkeiten für diese Risiken zurückzuführen.
„Eine Umfrage unter 300 medizinischen Fachkräften, darunter Ärzte, Pflegekräfte und Mitarbeitende in der Verwaltung, ergab, dass das Wissen über die Risiken einer Übertragung von Infektionen über die Atemwege begrenzt ist. Weniger als 20 % beantworteten eine Frage zu diesem Thema richtig“, so Mellon. „Daraufhin führten wir ein innovatives Schulungstool ein, um das Bewusstsein für Risiken zu schärfen.“

Modellierung der Virusübertragung in offenen Pflegebereichen
Das Saint-Louis Krankenhaus AP-HP hat seine Zusammenarbeit mit Dassault Systèmes durch den Ansatz von Virtual Twin as a Service (VTaaS) erweitert, der medizinischen Teams fortschrittliche Modellierungs- und Simulationsmöglichkeiten bietet, ohne dass dafür internes technisches Know-how erforderlich ist. VTaaS wird über ein cloudbasiertes Abonnement bereitgestellt und bietet Unternehmen Zugang zu der jahrzehntelangen Erfahrung von Dassault Systèmes im Bereich der Technologie des virtuellen Zwillings. So erhalten sie zeitnah und innerhalb des Budgets genaue Einblicke, ohne die Risiken und Komplexität einer Simulation von Grund auf neu erstellen zu müssen.
Der Modellierungsprozess berücksichtigte zahlreiche Variablen, wie z. B. die Konstruktion des Belüftungssystems, die Platzierung der Patientenbetten und die potenzielle Ausbreitung von Partikeln in der Atemluft innerhalb der Station. Anschließend entwickelte Dassault Systèmes realistische Simulationen mit SIMULIA Fluids-Lösungen, um die potenzielle Ausbreitung von Partikeln in der Atemluft zwischen Patienten und deren Betten im Raum zu quantifizieren und zu ermitteln, wer Partikel ausstoßen und aufnehmen könnte und wie die Gestaltung der Räume und Lüftungssysteme die lokalen Risiken beeinflusst.
„Bei der Übertragung über die Atemwege ist es schwieriger, das Infektionsrisiko zu erkennen“, erklärte Dr. Emmanuel Dudoignon, Intensivmediziner am Saint-Louis Krankenhaus AP-HP. „Der virtuelle Zwilling und Augmented Reality machen sichtbar, wie groß das Risiko von Ansteckungen und luftgetragenen Keimen ist.“
Die Simulationen zeigten, dass in dem 300 Quadratmeter großen Raum sowohl Patienten als auch das Pflegepersonal besonders gefährdet sind. Das macht deutlich, wie wichtig Aufmerksamkeit und effektive Maßnahmen sind, um die Verbreitung von Atemwegs-Partikeln zu verhindern. Die Fachkräfte waren überrascht von der Erkenntnis, dass sich Partikel in der Atemluft bis zu 25 Meter durch einen Raum ausbreiten können. Das Experiment zeigte, dass die Verbreitung der Partikel nicht auf den unmittelbaren Patientenbereich beschränkt ist, sondern sich im gesamten Raum ausbreitet, was die Bedeutung einer gut konzipierten Belüftung und Schutzmaßnahmen unterstreicht.
Im Vergleich zu früheren Projekten von Dassault Systèmes konnte dieses dank zusätzlicher Daten im virtuellen Zwilling, wie mehr Patienten und aktualisierte Spezifikationen des HLK-Systems (Heizung, Lüftung und Klimatisierung), eine noch genauere Darstellung der Partikelausbreitung und Luftströmung erzielt werden. Die Simulationen zeigten deutlich, wie die Patienten je nach ihrem spezifischen Standort in der Station einem mehr oder weniger hohen Risiko für eine Atemwegsinfektion ausgesetzt waren. Diese Erkenntnisse haben erhebliche Auswirkungen auf die Platzierung von Patienten und Infektionskontrollstrategien.
„Wir wissen jetzt, dass bestimmte Bereiche im Aufwachraum ein höheres Risiko für Atemwegsinfektionen aufweisen“, sagte Dudoignon. „Bei der Platzierung invasiver Geräte wie Zentralvenenkatheter für die Chemotherapie bei immungeschwächten Patienten hilft uns diese Erkenntnis, Hochrisikozonen zu vermeiden und Patienten in Bereichen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer Übertragung über die Atemwege zu positionieren.“

Augmented Reality eröffnet neue Dimensionen in der Schulung
Das Saint-Louis Krankenhaus AP-HP startet derzeit sein Pilot-Schulungsprogramm mit dem AR-Tool, das mit 3DEXCITE entwickelt wurde, um sehr realistische Visualisierungen zu erzielen. Medizinisches Fachpersonal kann nun an einer vollständig interaktiven Schulung teilnehmen, in der verschiedene Szenarien durchgespielt werden, die die Ausbreitung von Partikeln in der Atemluft unter verschiedenen Bedingungen veranschaulichen.
„Mithilfe der zuvor gemessenen Luftströmungsdaten – Lüftungsgeschwindigkeiten, Absaugraten und Luftzirkulationsmuster – konnten wir alle diese Daten in ein Tablet-basiertes Tool integrieren“, erklärte Mellon. „Auf diese Weise können wir Schulungsszenarien mit virtuellen Patienten im Raum erstellen und die Auswirkungen verschiedener Bedingungen vergleichen, z. B. ob ein Patient eine Maske trägt oder nicht.“
Die AR-Schulungsmethode verbessert die Lernfähigkeit und das Engagement, da die Teilnehmer in Echtzeit mit ihrer Umgebung interagieren können. Die Fachkräfte können sich durch den Raum bewegen und beobachten, wie sich Partikel in der Atemluft verhalten und wie vorbeugende Maßnahmen Risiken mindern können.
„Früher hatten wir nur sehr wenige Hilfsmittel, um die Risiken der Luftverschmutzung zu veranschaulichen“, so Professor Benoit Plaud, Leiter der Abteilung für Anästhesie und chirurgische Intensivmedizin am Saint-Louis Krankenhaus AP-HP. „Die Zusammenarbeit mit Dassault Systèmes hat es uns ermöglicht, ein innovatives Schulungstool zu entwickeln, das Augmented Reality nutzt, um medizinischem Fachpersonal ein greifbares Verständnis dafür zu vermitteln, wie Luftverunreinigungen entstehen, sei es durch Patienten oder Pflegepersonal, indem die Luftströmung in offenen Pflegebereichen direkt visualisiert wird.“
Die erfolgreiche Integration von AR in die Schulungen hat das Engagement des Krankenhauses für den Einsatz fortschrittlicher Technologien zur Infektionsprävention weiter gestärkt. Das Pilotprogramm schreitet voran, und das Team ist optimistisch, dass es die Praktiken und die Ergebnisse für die Patienten verbessern kann.
„Dies war in jeder Hinsicht eine bereichernde und überzeugende Erfahrung“, so Mellon. „Ich glaube wirklich, dass wir in der Praxis bedeutende Verbesserungen sehen werden. Die Zusammenarbeit mit Dassault Systèmes war durchweg hervorragend – schnell, effizient und voller neuer Erkenntnisse.“

Das Saint-Louis Krankenhaus AP-HP im Überblick
Das Saint-Louis-Krankenhaus ist ein universitäres Krankenhaus der höchsten Versorgungsstufe und gehört zur Gruppe Assistance Publique – Hôpitaux de Paris (AP-HP). Das Krankenhaus ist auf eine Vielzahl von medizinischen und chirurgischen Fachgebieten spezialisiert, darunter Hämatologie, Krebs und Dermatologie sowie Infektions- und Tropenkrankheiten und entzündliche Erkrankungen.
Weitere Informationen: https://hopital-saintlouis.aphp.fr